Das Brillenwunder von Köln

(22.06.17) 40 Sonderseiten im STERN, eine vorgezogene SPIEGEL-Ausgabe und eine seit Tagen schnappatmende BILD-Zeitung, deren V-Mann Kai Diekmann damit rechnet, dass Altbundeskanzler Helmut Kohl während des Europastaatsaktes in Straßburg aufersteht und direkt in den Himmel über Berlin auffährt. Wobei es für die Auflage nicht schlecht wäre, wenn er von droben noch Nobbi Blüm, Heiner Geißler und Rita Süssmuth mit drei Blitzen niederstrecken würde.

Und was macht Satzverstand, um an den ewigen Kanzler zu erinnern? Kohl zu Ehren veröffentlichen wir hier und jetzt ein historisches Foto, das zu Lebzeiten auf seinen eigenen Wunsch hin unter Verschluss bleiben musste. Damit lüften wir weltexklusiv das Geheimnis, von wem Helmut Kohl die sagenumwobene Millionen-Parteispende erhalten hat. Na, ist das was?!

Das Bild habe ich Ende Januar 1983 bei einer Wahlkampfveranstaltung in Köln gemacht. Dabei habe ich geistesgegenwärtig eine Szene eingefangen, in der Helmut Kohl beim Bad in der Menge auf zwei Brüder trifft, die von Geburt an unter extremer Rot-Grün-Sehschwäche litten.

Wie einst Jesus Brot und Fische vermehrte, verdreifachte der Kanzler auf wundersame Weise seine berühmte Tropfenbrille und setzte den Jünglingen je eine eigene auf. Ich schwöre, so war´s. Ich stand direkt daneben. Fortan konnten die Geheilten allen Rot-Grün-Gefahren offen ins Auge sehen. Das noch viel schlimmere Rot-Rot-Grün-Glaukom vermochte sich sechseinhalb Jahre vor dem Mauerfall ja noch niemand vorzustellen.

Doch über das Brillenwunder von Köln ist damals der Mantel des Schweigens* gebreitet worden. Denn der stets bescheidene Kohl zog mich sofort beiseite und rang mir das Versprechen ab, über die Wundertat mindestens bis zu seinem Tode Stillschweigen zu bewahren. Und dieses Versprechen schloss auch ein, nicht darüber zu sprechen, wie sich die dankbaren Brüder wenig später beim Kanzler erkenntlich zeigten. Denn beide lösten vorzeitig ihre vor 30 Jahren noch zinskräftigen Bausparverträge auf und übergaben dem Kanzler persönlich zwei Umschläge mit jeweils einer Million Mark in kleinen Scheinen für wohltätige Parteizwecke.

Wie Kohl habe auch ich 34 lange Jahre geschwiegen. Westostwestfalen halten ihr Wort. Jetzt aber darf, ja muss es gesagt werden: Helmut Kohl hat nicht nur das Wunder der Einheit vollbracht, sondern auch im Kleinen Wunder gewirkt. Zumindest dieses eine. Und er hat die unbekannten Parteispender nicht genannt, weil er seine wunderbare Brillenvermehrung nicht an die große Glocke hängen wollte. So war er halt. Blöd nur, dass ich mir die Namen der beiden nicht gemerkt habe.

© Satzverstand Juni 2017

*Helmut Kohl war zeitlebens begeisterter Wendejackenträger. Den im Oktober 1982 von Herrn Grupp persönlich und ausschließlich in Deutschland als Unikat geschneiderten, extrem nestbeschmutzerabweisenden Trigema-Trenchcoat trug der Kanzler wahlweise als Mantel der Geschichte oder als Mantel des Schweigens. Heute verstaubt der Wendemantel im von Kohl gegründeten „Haus der Gechichte“ in Bonn. Schade.

Nachtrag: Erst im Juli 2017 wurde bekannt, dass die Optikerketten Fielmann und Apollo Helmut Kohl 1983 unter Hinweis auf das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb per einstweiliger Verfügung untersagt haben, das Brillenwunder öffentlicht bekannt zu machen bzw. zu wiederholen. 

 

  2 comments for “Das Brillenwunder von Köln

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.