Kurz vor dem Diesel-Gipfel: Autobosse entlastet

(01.08.2017) Unerwartete Wendung im Schummelsoftware-Skandal: Kurz vor dem Diesel-Gipfel in Berlin hat der arbeitslose 20-jährige Mechatroniker Nils-Sören H. aus Mittelhausen (Kreis Soest) zugegeben, die Mogelsoftware für Dieselmotoren vor drei Jahren aus eigenem Antrieb heraus entwickelt und den mittelständischen Automobilmanufakturen Volkswagen, BWM, Daimler, Audi und Porsche ohne deren Wissen untergeschoben zu haben.

Nach dem Stand der Ermittlungen hat Nils-Sören H. die Software zur Manipulation des Stickoxidausstoßes bei Abgastests zwischen 2013 und 2014 während seiner Ausbildung in der VW-Vertragswerkstatt Hilkenschulte in Langeneicke, einem Ortsteil der westostwestfälischen Stadt Geseke entwickelt. „Das muss er in der Berufsschule gemacht haben. Für so Computerdönekes haben wir hier im Betrieb keine Zeit. Deshalb haben wir ihn nach der Lehre auch nicht übernommen“, sagt Seniorchef Willi Hilkenschulte (84).

Schummelsoftware untergeschoben

Der Tatverdächtige selbst gibt an, zunächst aus Langeweile gehandelt zu haben: „Wir hatten ja in Mittelhausen keinen sozialen Brennpunkt. Da habe ich mich halt in die Mechatronik gestürzt.“ Anfang 2013 gelang es dem damals 16-Jährigen den damals 31 Jahre alten Volvo 240 Kombi seines Opas mittels einer selbstprogrammierten ASU-APP zur Rußpartikeldesensibilisierung unerwartet ein weiteres Mal über den TÜV zu bringen.

„Dieser Erfolg war wohl die Initalzündung für den Wunsch, die perfekte Abgassteuersoftware zu entwickeln“, vermutet sein ehemaliger Physiklehrer am Berufskolleg Lippstadt, Joachim Borgelmeyer. Warum Nils-Sören H. dann jedoch die zentralen Entwicklungssysteme von VW, Porsche und Co. gehackt und den ahnungslosen Autoherstellern die Schummelsoftware schamlos untergejubelt hat, ist Borgelmeyer ein Rätsel. „Er hat es gemacht, weil er es konnte“, sagt Karen Middelke. Deutschlands einzige KFZ-Tiefenpsychologin arbeitet beim TÜV Westostwestfalen und behandelt inzwischen viele Fach- und Führungskräfte aus der Automobilbranche.

Verkehrsminister entschuldigt sich

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt zeigte sich am Vorabend des Branchenkrisentreffens in Berlin erleichtert: „Ab sofort können alle Diesel-Fahrer wieder richtig Gas geben. Ich persönlich war von Anfang an von der Unschuld der deutschen Automobilindustrie überzeugt. Im Namen der Bundesregierung möchte ich mich bei den Unternehmensführungen und Anteilseignern von Volkswagen, Daimler, BMW, Audi und Porsche in aller Form für die entstandenen Unannehmlichkeiten entschuldigen“, so Dobrindt.

Der Verband der Automobilindustrie (VdA) ließ am Abend noch offen, ob er die Entschuldigung des Ministers annimmt. Sämtliche Abgasgrenzwerte umgehend abzuschaffen, alle Fußgängerzonen wieder für Diesel zu öffnen und die Fahrzeuge von der geplanten PKW-Maut auszunehmen, sei jetzt aber wohl das mindeste, ließ VdA-Präsident Matthias Wissmann verlauten.

Sozialstunden in den Softwareabteilungen?

Unklar ist, was nun mit Nils-Sören H. passiert. Der Automobilverband hat ihn zunächst für Mittwoch als Kronzeugen zum Diesel-Gipfel in Berlin geladen. „Mein Mandant bedauert, dass er durch jugendliche Experimentierfreude einen tragenden Ast der deutschen Wirtschaft angesägt hat“, sagte Anwalt Jens-Martin Schliffke beim Abflug des geständigen Softwareschummlers vom Regionalflughafen Paderborn-Lippstadt nach Berlin (Foto).

Das Bedauern wird nicht reichen. Allein die Schadensersatzforderungen der Automobilindustrie belaufen sich nach Darstellung des VdA bislang auf rund 43,34 Milliarden Euro. Insider vermuten jedoch, dass Nils-Sören H. diese auch für einen 20-Jährigen erhebliche finanzielle Belastung abwenden kann, indem er abwechselnd Sozialstunden in den Softwareabteilungen der Big Diesel Five ableistet. Daraus könne sich durchaus eine Win-Win-Sitaution für beide Seiten ergeben.

Davon unabhängig ist die juristische Aufarbeitung dieses in der deutschen Wirtschaftsgeschichte einzigartigen Falles von Abgaskriminalität. Der General-KFZ-Anwalt beim Kraftfahrbundesamt in Flensburg will noch in dieser Woche Anklage gegen Nils-Sören H. erheben. Da der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt aber erst 16 Jahre alt war, rechnet Anwalt Schliffke mit einer Bewährungsstrafe.

Für Mitternacht hat SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz eine Stellungnahme angekündigt.

© Satzverstand August 2017

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