Warum um Himmels willen Erasmus?!

Die Stadt Basel wird seit gut drei Jahren immer wieder von deftigen Erdstößen erschüttert. Seismologen haben das gotische Münster als Epizentrum der Beben ausgemacht. Auch die Ursache ist klar: Die Erschütterungen werden durch außergewöhnliche Rotationsbewegungen unter der Grabplatte des Desiderius Erasmus ausgelöst. Bisher wussten sich die Forscher aber keinen Reim auf das Phänomen zu machen.

Im Juli 1536 wurde der berühmte Humanist im Basler Münster beerdigt. Seither haben sich die sterblichen Überreste selbst nach schweizerischen Maßstäben recht ruhig verhalten.

Doch dann rieselte erstmals am 25. März 2015 Putz aus dem Kirchengewölbe. Weitere leichte Erschütterungen um den 10. Dezember 2016 herum wurden von den Experten mit dem Tunnelbau am Sankt Gotthardt und Tiefausläufern von Stuttgart 21 in Verbindung gebracht.

Dieser Erklärungsansatz war spätestens nach einem Richterskalenstoß der Stärke 5 bis 6 am 13. April 2018 und einem erneuten Beben am 30. Juni hinfällig. Jetzt hat ein interdisziplinäres Team aus Geo-, Theo- und Politologen das Rätsel gelöst: Die bisher stärkste in Europa gemessene Grabinnenraumrotation steht in direktem Zusammenhang mit der Parteistiftung der Alternativdeutschen.

Am 20. März 2015 wurde die nach Erasmus von Rotterdam benannte Stiftung zunächst als Verein gegründet. Am 20. März 2015 wurde die Desiderius-Erasmus-Stiftung auch formal zur Stiftung erklärt und im März dieses Jahres vom Parteivorstand und im Juni durch einen Reichsparteitag offiziell als „parteinah“ bestätigt. Vorsitzende ist eine gewisse Erika Steinbach. In ihrem Twitterprofil gibt sie „Lyrik, gute Musik und Natur“ als Neigungen an.

Warum um Himmel willen Erasmus von Rotterdam?

„Erasmus hat viele Dinge geliebt, die wir lieben, die Dichtung und die Philosophie, die Bücher und die Kunstwerke, die Sprachen und die Völker, und ohne Unterschied zwischen ihnen allen die ganze Menschheit um der Aufgabe höherer Versittlichung willen.“ Das sagt nicht die musikalische Naturlyrikerin Erika Steinbach. Stefan Zweig hat es 1935 in „Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam“ geschrieben – zwei Jahre, nachdem viele andere seiner Bücher im Land der Dichter und Denker brannten.

Erasmus gilt als der erste „Europäer“. Sein Name steht für ein europaweites Universitätsprogramm, das Studierenden grenzüberschreitenden Austausch und gegenseitiges Kennenlernen ermöglicht. „Und er hat nur ein Ding auf Erden wahrhaft als den Widergeist der Vernunft gehaßt: den Fanatismus“, schreibt Stefan Zweig. Ausgerechnet diesen großen Menschenfreund rufen die alternativdeutschen Ideologen für ihre Zwecke in den Zeugenstand. Welch eine Tragik.

In seiner Begründung der Patronatswahl sieht sich der leitende Parteiphilosoph Dr. Konrad Adam zunächst zu erklären genötigt, warum die Alternativdeutschen als Gegner parteinaher Stiftungen eine parteinahe Stiftung brauchen. Den Begriff Geld verwendet der Schöngeist dabei nicht. Man ist gespannt, wie sich Adam jetzt durch die argumentative Steilkurve zu Erasmus schwurbelt.

Die Sprache gelte zu Recht als Spiegel des Verstandes gilt, schreibt er. Und weiter: „Des Unverstandes leider auch, wie wir nach den beschämenden Erfahrungen, die wir mit den Exzessen einer politisch korrekt verlogenen Sprachpolizei gemacht haben, hinzusetzen müssen. Erasmus wäre kein Muster des freien Denkens geworden, wenn er nicht auch ein Meister des gesprochenen und geschriebenen Wortes gewesen wäre. Auch darin, in seiner Vorliebe für den kultivierten Gebrauch der europäischen Hochsprachen, soll er uns ein Vorbild sein.“

Das muss sacken. Fast täglich liefern die Alternativdeutschen unter ihrem Motto „Das wird man wohl noch sagen dürfen“ eindrucksvolle Belege für den „kultivierten Gebrauch der europäischen Hochsprachen“. Die unsäglichen Zitate derer von Storch, Höcke, Gauland, Weidel oder Blex sprechen für sich, aber sicher nicht für die gebetsmühlenartig beklagte Zensur.

Vor gut einem Jahr hat Konrad Adam öffentlich bekundet, von den Bundestagskandidaten seiner Partei gehöre jeder Zweite bis Dritte nicht ins Parlament. Er muss es wissen. Desiderius Erasmus von Rotterdam wäre sicher der Ansicht gewesen, dass kein einziger dieser intoleranten, zutiefst unchristlichen Hetzer in irgendein Parlament gehört.

Der große Denker kann sich gegen den Missbrauch seines Namens und seiner Ideale nicht wehren. Es steht ausgesprochen schlecht um die Statik des Basler Münsters.


© Satzverstand, 2. September 2018

Das der Fotomontage zugrunde liegende Bild ist der Titel der im Anacondaverlag erschienenen Ausgabe „Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam“ von Stefan Zweig. Der Text des Buches ist inzwischen über das Projekt Gutenberg frei verfügbar.

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