Die Wasserlosklo-Verschwörung

Poetry-Slam-Premiere: Beim „Mutanfall“ im Stadtmuseum Siegburg habe ich zum ersten Mal an einem Textwettstreit teilgenommen. Es hat großen Spaß gemacht und immerhin zu Platz 4 in einem Feld von acht Slammerinnen und Slammern gereicht. Danke an den tollen Moderator Mario el Toro (rechts im Bild).

Ein Mann merkt instinktiv, wenn er seine besten Tage hinter sich hat. Zum Beispiel daran, dass Mann sich darüber freut, wenn der Vorwerck-Vertreter klingelt.

Ich persönlich interessiere mich nicht mehr so recht für die Dessouswerbung. Stattdessen habe ich mir jetzt das Panini-Sammelalbum für Treppenlifte gekauft. Mir fehlen nur noch sieben Modelle! Sonntag ist großer Tauschtag in der Seniorentagesstätte Abenddämmerung.

Wenn es so weit ist, bekommt Mann einen anderen Blick auf die Dinge. Zum Beispiel auf den Umweltschutz. Natürlich ist es echt total wichtig, für den Bau von Insektenhotels zu spenden. Klar betreiben wir unsere Vorgartenheizung nur mit Ökostrom.

Ein wasserloses Klo muss es aber nun wirklich nicht sein!

Text zur Poetry-Slam-Premiere beim „Mutanfal“ am 29.11.18 im Siegburg.

Das muss man jetzt vielleicht den Frauen erklären: Auf öffentlichen Männerklos macht sich seit einiger Zeit das wasserlose Urinal breit. Vor allem in den tollen Sanifair-Erlebniswelten an der Autobahn. 

Totale Stille. Oder leises Vogelgezwitscher. Und immer mehr Urinetten sind mit einem Werbedisplay ausgestattet. Da läuft – kein Witz – Werbung für HÜTTENKÄSE. Wer will beim Pinkeln Hüttenkäse sehen?

Dahinter stecken skrupellose Marketinghaie, die rücksichtlos meine körperlichen Gebrechen ausnutzen: Denn damit was kommt, muss ich Wasser laufen hören. Wenn kein Wasser läuft, kommt nichts. Und wenn nichts kommt, muss ich warten und mir zwangsläufig die Werbung angucken. Und hinterher kaufe ich mir von den Sanifair-Bons Hüttenkäse.

Neulich musste ich auf der Autobahnraststätte Münsterland-Ost dringend aufs Klo. Keine Chance. Da stauten sich die Männer schon zurück bis Münsterland-West vor den wasserlosen Urinalen. Vor mir in der Schlange standen allein sechs Bussladungen Kaffeefahrt-Blasen aus dem Sauerland – die hatten gerade das Geburtshaus von Friedrich Merz in Brilon besucht.

Statt jetzt einfach wieder die Wasserrohre aufzudrehen, hat der medizinisch-industrielle Komplex die Geschichte zu einer neuen Krankheit aufgeblasen: Shy bladder syndrome – die „schüchterne Blase“. Im Fachmagazin Apotheken-Umschau heißt es dazu: „Auslöser für die Probleme beim Wasserlassen ist die Angst davor, beim Urinieren von anderen beobachtet oder belauscht zu werden.“

Experte Prof. Dr. Philipp Hammelstein von der Universitätsklinik Düsseldorf hat selbstverständlich eine blasenpsychologische Erklärung zur Hand. Ich übersetze das mal schnell für die urologischen Laien: Ich denke, dass der Typ an der Schüssel neben mir denkt, dass ich einen Sprung in der Schüssel habe, weil ich schon seit 14 Minuten Hüttenkäsewerbung gucke, während die 34 gefüllte Blasen hinter mir von einem Bein auf das andere hüpfen.

Daraus entwickelt sich dann bei mir eine Angststörung, so dass ich auch in der nächsten Pinkelpause nicht zu Potte komme. Ein Blasenteufelskreis! Der Experte sagt, dass bei drei Viertel der Betroffenen schon 20 Therapieeinheiten reichen, um die schüchterne Blase wieder zum Sprudeln zu bringen. Natürlich gibt´s da auch was von Ratiopharm.

Mittlerweile bin ich fest davon überzeugt, dass hinter der spunghaften Vermehrung der wasserlosen Klos eine perfide Verschwörung steckt. Sie geht weit über die Machenschaften der Werbemafia und der Krankheitserfinder hinaus.

Sie fragen sich doch schon die ganze Zeit, warum zum Teufel der Typ vorm Trockenklo auf Hüttenkäse starrt, während hinter ihm die Kabine mit Wasserklosett das Pinkelparadies auf Erden verpricht.

Stimmt. Aber finden Sie mal ein freies Kabinenklo. Nichts zu machen. Eine Luxuskabine mit Wasseranschluss müssen Sie bei Sanifair inzwischen drei Wochen im Voraus gegen Aufpreis online reservieren. Sie erhalten dann exakt für das gebuchte WC und nur zur vorbestellten Blasenleerung einen Klo-Code aufs Smartphone. Nur ein kleiner Stau – und zack wieder Hüttenkäse!

Aber nicht mit mir! Ich habe mir jetzt auf mein Smartphone diverse Wassergeräusche geladen: vom leisen Zimmerbrunnen-Plätschern über vier Minuten Niagara-Fälle bis hin zum Durchbruch des Drei-Schluchten-Staudamms in China.

Ich stehe gerade mit einem nicht unbedeutenden Startup in Verbindung. In ein paar Wochen können Sie unsere Let-it-bubble-App bei iTunes und GooglePlay runterladen.

Aber Vorsicht: Bitte nicht als Klingelton speichern! Das könnte zu unangenehmen Situationen führen – auch bei Frauen.

© Satzverstand, 2. Dezember 2018

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.