Vor 50 Jahren: Apollo 11 verliert Mondgestein – Einschlag in Westostwestfalen

Allenthalben wird gerade der 50. Jahrestag der Mondlandung gefeiert. Inzwischen wissen wir, dass die Apollo-11-Mission von einer ganzen Serie von Pannen begleitet wurde.

Dazu gehört auch der Verlust von Mondgestein bei der Rückkehr von Neil Armstrong, Edwin Aldrin und Michael Collins in die Erdumlaufbahn. Die Kleinstadt Geseke in Westostwestfalen entging vor einem halben Jahrhundert nur knapp einer Katastrophe.

„Es war fast genau 12 Uhr. Wir hatten Wirsingstampf zu Mittag. Und dann gab es plötzlich diesen gewaltigen Rums. Als wenn beim Vogelschießen alle auf einmal geballert hätten.“ Heinrich Schlottkötter (79) erinnert sich noch genau an den 29. Juni 1969 – an den Tag, an dem der „Geseker Mondstein“ (Bild) in Westostwestfalen einschlug.

Der Klops aus dem All traf mit Wucht eine kleine Feldscheune („Klosters Hütte“) in der östlichen Feldmark der beschaulichen Stadt. Das aus Loheiche handgezimmerte Gebälk zerbarst, minderte aber die Wucht des Einschlags. So hielt das vermutlich um 1427 im Stil der Lübecker Marienkirche gemauerte Kleinod der Backsteinscheunengotik bis auf einen kräftigen Riss stand (Foto).

Schlottkötter: „Wir sind da natürlich sofort mit alle Mann hingerannt. Es hat gewaltig gequalmt und gekokelt. Da lag da so ein rundes Ding in der Asche. Wir dachten erst, das wäre eine Runkel. Aber die kann ja nicht so stark glühen.“

Viel Zeit zum Überlegen blieb den Zeitzeugen nicht. Keine Viertelstunde nach dem Einschlag wurde das Gelände von britischer Militärpolizei aus dem nahen Lippstadt abgeriegelt. „Das war wie im Film. Überall Blaulicht und jede Menge Leute in Uniformen und Schutzanzügen“, weiß Schlottkötter noch.

In der Geseker Zeitung vom 30. Juli 1969 findet sich keine Zeile über den Vorfall. Auch die überregionalen Medien meldeten nichts. „Von den Behörden wurde sofort eine Nachrichtensperre verhängt“, erläutert Prof. Erwin D. Drüggelte von der Universität Mönninghausen-Bönninghausen (UMöBö).

Der Wissenschaftler leitet seit Mai 2018 das von Bundesforschungsministerin Anja Maria-Antonia Karlicek ins Leben gerufene Raumfahrprogramm „Hellweg to Space“. Akribisch hat er in den letzten Jahren die Mondstein-Panne vom Juli 1969 rekonstruiert.

„Armstrong und Aldrin haben bei ihren knapp zweieinhalb Stunden auf dem Mond 21,6 Kilogramm Mondgestein eingesackt“, so Drüggelte. „In der Kommandokapsel für die Rückkehr auf die Erde war aber nur Platz für zehn Kilo Gestein vorgesehen. Der hemdsärmelige Armstrong hat auch in diesem Fall improvisiert und einen feuerfesten Sack außen an der Kapsel festgeschnallt – allerdings ohne Rücksprache mit der NASA-Bodenstation in Houston/Texas.“

Beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre am 24. Juli 1969 löste sich der Sack mit den sieben überzähligen Steinen. Nur in drei Fällen gelang es dem überraschten US-Kontrollzentrum, die Flugbahn der Geisterbrocken zu verfolgen. Einer stürzte über dem Nahen Osten ab. Ein zweiter fiel ohne größeres Aufsehen in den russischen Baikalsee.

Der dritte Stein traf am 29. Juli mittags „Klosters Hütte“ in Geseke. Zuvor hatte der 740 Gramm wiegende Brocken die Erde fünf Tage auf der „Sputnik-Route“ umlaufen und neben der sowjetischen auch die chinesische Raumüberwachung in helle Aufregung versetzt.

„Die Stadt hat extremes Glück gehabt“, sagt Prof. Drüggelte. „Nicht auszudenken, was hätte passieren können, wenn der gut zweieinhalb Kilo schwere Mondbrocken knapp einen Kilometer westlich im Ortskern eine Schule, eine Kirche oder den Marktplatz getroffen hätte.“

Der NASA ist die Beinahekatastrophe bis heute hochnotpeinlich. Es gibt keinerlei offizielle Dokumente. Zu einer Stellungnahme war die US-Weltraumbehörde auch 50 Jahre nach dem Vorfall nicht bereit. Immerhin haben die USA Ende der 70er Jahre des vergangenen Jahrtausends anonym 20.000 Dollar für den originalgetreuen Wiederaufbau der Backsteinscheune gespendet.

Drüggelte ist es mit seinen hartnäckigen Recherchen gelungen, ein halbes Jahrhundert später Bewegung in den Fall zu bringen. So haben sich die US-Raumfahrtbehörden vor kurzem entschlossen, den „Geseker Mondstein“ freizugeben. Der deutsche Wissenschaftler durfte den Stein bereits in Washington in Augenschein nehmen (Foto). Am 21. September 2019 wird er jetzt dem Städtischen Hellweg-Museum übergeben. „Nach 50 Jahren vollendet der Mondstein dann endlich seine Flugbahn“, freut sich der Professor.


© Satzverstand – 29. Juli 2019

Ein herzliches Dankeschön gilt dem Astronomischen Institut der Westostwestfalen-Universität Mönninghausen-Bönninghausen (WOW UMöBö) für das Zurverfügungstellen der Fotos des Geseker Mondsteins und der durch den Einschlag beschädigten Scheune. Die Bilder wurden am 29. Juli 1969 von NASA-Experten gemacht und waren bis zur Übergabe an die UMöBö im Juni 2019 unter Verschluss im US-Staatsarchiv in Washington D. C..

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