Hiobs nehmen Abschied

teppichhaendler_geschaeftsaufgabe_1(29.12.16) Dass die Welt aus den Fugen ist, klingt dieser Tage gelegentlich an. Aber dass jetzt auch noch eines der ältesten Teppichfachgeschäfte im Großraum Bonn nach 50 Jahren schließt! Und diesmal sei das Aus wirklich tatsächlich echt absolut endgültig, sagen Herr und Frau T..

Der immense Zeitdruck zwingt die Eheleute zum Äußersten. In nur wenigen Tagen müssen sie – ich zitiere aus dem Prospekt – „die verbliebenen Teppiche ausnahmslos zu unvorstellbar günstigen Konditionen und ohne Rücksicht auf Verluste gnadenlos günstig liquidieren“. Sogar echte Nomaden-Teppiche fallen unter die Schnäppchenjäger.

Dieses abrupte Ende einer Ära tut mir sehr leid. Aber mir fällt auch ein handgeknüpfter Loribaft vom Herzen, dass die beiden wohlbehalten in den wohlverdienten Ruhestand treten können. Damit konnte man nicht rechnen. Denn es gibt niemanden im Großraum Bonn, dem das Kismet ebenso übel mitgespielt hat.

Wenn es irgendwo Hochwasser gab, hat es sich seinen Weg in den Keller der Gebeutelten gesucht. Dazu haben Schmorbrände, Orkane, Blitzeinschlag, ja sogar Erdbeben und immer wieder diese unerklärlichen Wasserrohrbrüche das Teppichfachgeschäft über fünf Dekaden hinweg heimgesucht wie zuletzt wohl nur die biblischen Plagen das alte Ägypten. Zuletzt blieb auch die Laufkundschaft weg – zu groß war die Sorge der Kunden, dass sich vor dem Laden plötzlich die Erde auftut und einen selbst mitsamt einer Palette Orientteppiche verschlingt.

Herr und Frau Hiob haben trotz alledem nie aufgesteckt. Räumungsverkauf um Räumungsverkauf um Räumungsverkauf haben die beiden organisiert und mit stets nochmals gnadenlos reduzierten Angeboten dafür gesorgt, dass selbst die Keller zwischen Köln und Königswinter mit Bidjar, Menschkin, altem Bochara oder feinem Faharan Ziegler ausgelegt sind.

Schon vor gut zehn Jahren hatte der Hausarzt Herrn T. per Anzeige in der Lokalzeitung öffentlich geraten, sein Geschäft aufzugeben. Das Herz. Doch Herr T. brachte es nicht über selbiges, seine treue Kundschaft im Stich zu lassen. Er folgte aber dem Rat seines Hibernicologen*, ein wenig kürzer zu treten. Und so liquidierte er damals die Hälfte seines Perserbestandes – selbstverständlich zu unschlagbar sagenhaft günstigen Preisen.

Wie durch Wunderhand blieben die Nachbarn links und rechts des Pechvogelpaares von allem Unbill stets verschont. Der Büromöbelanbieter und die Krankenkassenzweigestelle sind längst das Ziel von Wallfahrern aus aller Welt. Seit 2004 ist die Straße offiziell Teil des Jakobswegenetzes.

Am 31. Dezember 2016 nun schließt der Organisator der ersten Weltkonferenz für Teppiche in Bad Neuenahr für immer die Pforte zum Perserreich. Es ist bereits zur Vermietung freigegeben. Dem Vernehmen nach gibt es einen vorgemerkten Interessenten. Irgendwas mit Teppichen.


*Der Hibernicologe oder Teppichhandelfacharzt beschäftigt sich mit den rätselhaften, in der Regel auf diesen Berufsstand begrenzten Erkrankungen, die bei Betroffenen einen chronischen Zwang zum Räumungsverkauf auslösen.

 

© Satzverstand 2016

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