Bei Schaufensterkrankheit hilft nur der Zahnarzt

(23.05.17) Lustige Geschichten aus der Bahn sind nicht mehr der Hit. Auch Elternzeitbücher von späten Vätern sind durch. Leider. Was mache ich bloß mit meinem Schuhkarton voller Elternzeitgeschichtenideen. Mehr ist damals daraus nicht geworden, weil ich während meiner Elternzeit dieses vage Gefühl hatte, dass man(n) sich um das Kind kümmern sollte, statt am Schreibtisch drüber zu schreiben. Interessanterweise war unser Sohn nicht nur der gleichen Ansicht, sondern auch nahezu schlaflos munter. So ist es bei den Notizen im Schuhkarton geblieben.

Also doch die Bahn. Ich gleise nicht oft, weil ich so zugempfindlich bin. Wenn ich mich aber doch mal für eine Verspätung mit der Bahn entscheide, bin ich immer wieder überrascht, dass sich dort das Leben tatsächlich so abspielt, wie es die Comedians in Radio und Fernsehen berichten.

Neulich hatte ich einen Termin in Düsseldorf. Bei der Rückfahrt gab es dank des traditionellen Stellwerkschadens in Essen noch mal ordentlich was an Fahrzeit zum Beförderungsentgelt dazu. Sonst hätte ich vielleicht den Mann in den besten Jahren und beiger Montur verpasst, der im Wiedertäuferstil lautstark Folgendes zu berichten wusste:

„Der bekannte deutsche Glücksforscher Professor Doktor Ruckriegel von der Schönstattbewegung hat jetzt die Schaufensterkrankheit. Da kann ihm nur noch sein Zahnarzt helfen.“

Diese bemerkenswerte Nachricht konnte ich mir in Ruhe notieren, weil der Bote ebenfalls in den Zug nach Köln stieg und seine Sätze freundlicherweise alle drei Minuten wiederholte.

Nun war ich zu müde, um den Mann um weitere Hintergrundinformatinen zu bitten. Aber ich gebe zu, dass mich seine Botschaft doch faszinierte. Vielleicht, weil wir früher mal einen von der katholischen Schönstattbewegung beseelten Vikar als Religionslehrer hatten. Mädchen haben bei ihm immer eine Eins bekommen, weil sie ihr Heft so schön ordentlich führten. Für mein Referat über die bei Papst und Vikar nicht sonderlich angesagte Theologie der Befreiung gab es eine Gnadendrei. Ich nehme an, dass er sich die Fünf nur sehr schwer verkniffen hat.

Da ich nun schon mal persönlich in die Sache verwickelt war, habe ich zuhause gleich „Professor Doktor Ruckriegel“ gegoogelt. Und siehe da, den gibt es wirklich und er erforscht tatsächlich das Glück: „Karlheinz Ruckriegel lehrt Makroökonomie an der Fakultät für Betriebswirtschaft der Georg-Simon-Ohm-Hochschule in Nürnberg. Seine Schwerpunkte sind neben Makroökonomie und psychologischer Ökonomie auch die interdisziplinäre Glücksforschung.“

Leider findet sich auf der Ruckriegel-Website kein Beleg für eine irgendeine Beziehung zur Schönstattbewegung. Die Homepage ist für einen Makroökonomen ziemlich mikroökonomisch überladen mit allerlei Web-, Buch- und Glückstipps. Aber leider fehlt auch jeder Hinweis darauf, dass sich Herr Professor in letzter Zeit durch die Schaufensterkrankheit beeinträchtigt fühlen. Aber das will nichts heißen. Über so etwas spricht man ja nicht gerne. Allenfalls mit seinem Zahnarzt.

Wobei unter medizinischen Gesichtspunkten durchaus Zweifel an der Überweisungsempfehlung des Bahnpredigers erlaubt sind. Denn die Schaufensterkrankheit heißt nicht so, weil man beim Shoppen wie beim Dentalfacharbeiter Mund und Nase aufhält. Es geht um fiese Arteriosklerose. Verengte Schlagadern lassen die Beine schmerzen. Das Gehen tut weh. Die Betroffenen bleiben öfter mal stehen und tun so, als ob sie sich brennend für die runtergesetzte Biberbettwäsche im Schaufenster interessieren. Nicht schön.

Letzten Endes aber hat der Bahnprediger sein Ziel erreicht: Ich habe mich mit seiner Botschaft beschäftigt, Herrn Prof. Ruckriegel zumindest virtuell kennengelernt und mich auch medizinisch fortgebildet. Rundum ein Gewinn.

Wer von Ihnen zufällig im selben Zug war, wird jetzt einwenden, dass der Besessene noch eine weitere Botschaft im Köcher hatte. Stimmt. Ich zitiere sie hier der Ordnung halber:

„Wenn die Leute wüssten, was für eine Hektik in Siegen herrscht. In der Oberstadt werden die Züge gar nicht mehr verplombt.“

Inzwischen neige ich zu der Annahme, dass der gute Mann einfach nur völlig normal bekloppt ist. Oder von der CIA. Oder vom BND. Oder vom Opus Dei. Oder alles zusammen. Suchen Sie es sich aus.


© Satzverstand Mai 2017

 

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