(05. Juli 2017) Das wird knapp! Der für den 7./8. Juli geplante G20-Gipfel findet nicht in Hamburg statt. Nach den bereits seit Tagen andauernden Protesten und Behinderungen hat der Senat am Mittwochvormittag die Reißleine gezogen. In Abstimmung mit dem Krisenstab der Bundesregierung wird das G20-Treffen jetzt kurzfristig in das knapp 300 Kilometer südlich gelegene Störmede im Kreis Soest verlegt. Die ersten Umzugstransporter sind bereits unterwegs.
Bei einer Pressekonferenz in Hamburg teilte der Gipfelbeauftragte der Bundesregierung, Justin Höttekekemper, am Mittag Einzelheiten mit: „Die Einwohner Hamburgs haben sich in einer vom Senat am Dienstagabend überraschend anberaumten repräsentativen Onlineabstimmung mit 64,8 Prozent für eine Absage ausgesprochen. Als gute Demokraten haben wir das zu akzeptieren. Wir packen jetzt alle Plünnen ein und ziehen um.“
G20-Gipfel kollidiert mit Schützenfest
Die Entscheidung für den 2.459-Seelen-Ortsteil der Westostwestfalenmetropole Geseke fiel nach Darstellung Höttekekempers spontan: „Störmede hat gerade den Kreiswettbewerb Unser Dorf hat Zukunft! gewonnen. Als Golddorf erfüllt der Ort damit formal alle Voraussetzungen für die Ausrichtung eines internationalen Gipfels in den Kategorien G1, G3, G7 und G20. Außerdem vermietet ein Onkel von mir dort günstig Zimmer.“
Im frischgekürten Gipfelgolddorf selbst ist die Stimmung geteilt. Viele Einwohner versprechen sich von der internationalen Aufmerksamkeit einen touristischen Aufschwung. Andere holen vorsichtshalber ihr Geld von der Sparkasse und der örtlichen Volksbank nach Hause. Nicht wenige fürchten, dass der Ort mit dem G20-Gipfel überfordert ist, denn am Wochenende findet auch das alljährliche Schützenfest der St. Pankratius-Schützenbruderschaft statt. „Wenn se dat absagen, gibt dat mächtich Ärger“, warnt Heinrich Stratmeyer vom örtlichen Geselligkeitsverein.
Merkel und Trump in der Jubelkönigskutsche
Doch Krisenmanager Höttekekemper ist zuversichtlich, dass sich das globale und das lokale Großereignis kombinieren lassen. In einer Telefonkonferenz hat der Chef des Krisenstabs mit dem Vorstand der Schützenbruderschaft verabredet, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Donald Trump beim Festumzug am Samstag gemeinsam mit den Jubelkönigspaaren in der Kutsche durch den Ort fahren dürfen. Chinas Staatschef Xi Jinping, Russlands Präsident Wladimir Putin, die britische Premierministerin Theresa May und Frankreichs König Emmanuel I. werden nach aktuellem Stand des Protokolls auf den vier kaltblütigen Kutschpferden reiten.
Umleitungen über Steinweg und Schluitskamp
„Die traditionelle Ehrenparade der Schützen für ihr amtierendes Königpaar wird dann um einen Vorbeimarsch an den Staats- und Regierungschefs erweitert. Dazu bauen wir gerade eine 760 Meter lange und 10 Meter hohe Ehrentribüne im Kreuzungsbereich Lange Straße/Zum Schützenplatz auf“, erläutert Höttekekemper. Dazu müssen lediglich 15 Häuser an der Nordseite der Ortsdurchfahrt knapp zehn Meter nach hinten versetzt werden. Weil das jetzt alles ganz schnell gehen muss, hat der Gipfelstab erfahrene Einsatzkräfte und schweres Gerät von der Berliner Flughafenbaustelle angefordert (Hinweis für Ortskundige: Baustelle aus Fahrtrichtung Geseke über den Steinweg und aus Fahrtrichtung Langeneicke über den Schluitskamp umfahren).
Die meisten ausländischen Gäste werden nach Darstellung des Krisenstabs den Unterschied zwischen Hamburg und Störmede gar nicht bemerken. „Wir werden es so aussehen lassen, als ob wir das Golddorf extra für den Gipfel als Tagungszentrum mitten in Hamburg aufgebaut hätten“, heißt es in internen Unterlagen, die Satzverstand vorliegen. Am Mittwochnachmittag waren die Hinweisschilder für die örtlichen Wasserstraßen Störmeder Bach und Trillobach bereits mit Alster und Elbe überklebt.
Privatunterkünfte werden knapp
Angesichts der überschaubaren Hotelkapazitäten im Ort hat sich die deutsche Gipfelregie entschlossen, die Staatenlenker und ihren vieltausendköpfigen Tross größtenteils in Gastfamilien unterzubringen. Höttekekemper: „In den Bäckereien und beim Metzger liegen bis Donnerstagabend Listen aus. Dort kann man eintragen, welchen Regierungschef man am liebsten im Gästezimmer oder auf dem Ausziehsofa beherbergen möchte. Wir versuchen, die individuellen Wünsche zu berücksichtigen, müssen aber am Ende des Tages auch für den US-Präsidenten irgendwo ein warmes Plätzchen finden.“
Nach einer aktuellen Agenturmeldung hat sich die Katholische Frauengemeinschaft des Ortes bereiterklärt, mit Hausgemachtem für das leibliche Wohl der Gipfelteilnehmer zu sorgen. Aus Platzgründen werden die gemeinsamen Essen zwischen den beiden örtlichen Restaurationsbetrieben in zwei G10-Gruppen aufgeteilt. Das Essen der anderen wird auf Großleinwänden in die jeweils andere Kneipe übertragen.
Die politischen Konferenzen werden im Schlosshotel und bei gutem Wetter auch unter freiem Himmel auf den Wiesen des angrenzenden Rittergutes stattfinden. Nach offiziell nicht bestätigten Gerüchten war am jüngst abgeschlossenen Wiederaufbau der historischen Schlossanlage auch die Trumpolinski Inc. Ltd. beteiligt, ein osteuropäisches Stieftochterunternehmen des Trump-Konzerns.
Das Medienzentrum für die rund 4.000 zum Gipfel erwarteten Journalisten aus aller Welt wird im pittoresken Heimathaus untergebracht. Parallel wird ein Fake-Newszentrum in der Sektbar der Schützenhalle eingerichtet. Die Telekom hat zugesagt, beide Örtlichkeiten rechtzeitig zum Gipfelauftakt an schnelles W-Lan anzuschließen. Falls das – wie zu erwarten – terminlich nicht klappt, will der örtliche Brieftaubenverein Treu der Heimat mit zuverlässiger analoger Nachrichtenübertragung einspringen.
Sicherheitskonzept auf den Nahverkehr abgestimmt
Zur Stunde arbeitet die zuständige Polizeidienststelle Lippstadt gemeinsam mit dem Störmeder Ortsvorsteher ein engmaschiges Sicherheitskonzept für den Gipfel aus. „Wir setzen darauf, dass es das Gros der G20-Gegner nicht mehr rechtzeitig nach Störmede schafft“, sagt Einsatzleiterin Anne-Karin Stülpnagel. Dabei baut die krisenerprobte Polizeihauptmeisterin vor allem auf einen unzuverlässigen öffentlichen Nahverkehr: „Störmede hat keinen Eisenbahnanschluss und die Busse fahren ab Freitagmittag und erst recht am Samstag eher sparsam.“
Für alle Fälle hat der Krisenstab einen ehemaligen Steinbruch in der südlichen Feldflur als Fläche für ein Protestcamp ausgewiesen. „Wenn´s richtig Ärger gibt, können wir da einfach einen Deckel drüber legen. Einkesseln gibt ja immer schlechte Presse“, erläutert Stülpnagel.
Wegen Nordkorea: Trump-Teilnahme am Vogelschießen abgesagt
Aus Sicherheitsgründen wird Donald Trump nicht am Vogelschießen der Pankratiusschützen teilnehmen. Der Wunsch des Vertreters der National Rifle Association in der US-Delegation wurde mit Blick auf die aktuelle Krisensituation in Fernost abschlägig beschieden. „Wenn der Präsident am Vogel vorbeischießt, könnte die Kugel Nordkorea erreichen“, warnt das NATO-Oberkommando in Brüssel. Der verhinderte Schützenkönig hat sich per Twitter bereits enttäuscht geäußert: #G20Stormäde #birdshooting – Can´t become king. So sad!
„Wir haben auch schon die Pest überlebt“
Bereits am Donnerstag will sich Bundesinnenminister Thomas de Maizére vor Ort ein Bild von den Vorbereitungen machen. Am Abend reisen dann die ersten Staatsgäste an. Zwischen dem Regionalflughafen Paderborn-Lippstadt und dem Störmeder Sportplatz werden dann wohl bis zum Gipfelende pausenlos Helikopter pendeln.
Der schwerhörigen Käthe Strungel wird das nichts ausmachen. „Wir sind schon ein bisken aufgeregt, aber das gehört wohl dazu“, sagt die 87-Jährige. Mit drei älteren Freundinnen stellt sie gerade Fahnen an der Störmeder Ortsdurchfahrt auf. Die Wimpel wehen hier eigentlich während der Lobetagsprozession, mit der die Störmeder alljährlich dafür danken, dass im Dreißigjährigen Krieg die Pest ihren Ort verschont hat. „Aber so ein G20-Gipfel ist ja auch ein bisken wie die Pest“, lachen die vier sympathischen Alten in ihren blütenweißen Kittelschürzen. Keine Frage: Das Golddorf freut sich auf G20.
© Satzverstand Juli 2017
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