Hätten Sie gedacht, dass wir Silvester 2018 erleben? Damit konnte man vor einem Jahr wirklich nicht rechnen. Doch glücklicherweise fassen die Menschen für ein neues Jahr immer noch mehr gute als schlechte Vorsätze.
708.000 Ergebnisse wirft Google zum Eintrag „gute Vorsätze“ aus. „Schlechte Vorsätze“ ergibt zwar nur 321.000 Treffer. Doch in der kleineren Gruppe sammeln sich leider alle Trumpeltiere dieser Erde: Diktatoren und Oligarchen, Cayman-Banker, Waffenschieber und Menschenschleuser, „XY first!“-Schreihälse und Fanatiker jeglicher Couleur und Religion. Was die sich für 2018 vornehmen, zeigt der Rückblick auf 2017.
Aber wie steht es mit den eigenen, selbstverständlich guten Absichten? Wer noch keine Idee hat, findet Rat bei Scharen von Psychologen mit Jahreswechsel-Weiterbildung. In diesen Tagen haben sie 24-Stunden-Dauerdienst auf allen Kanälen.
Mir persönlich rät das Sportstudio in der Nachbarschaft dringend zum Besuch eines Sportstudios. Meine unerschütterlich optimistische Gesundheitskasse will mir helfen, auch 2018 keinen Herzkasper zu bekommen. Ein Ökostromanbieter redet mir den Vorsatz ins Gewissen, ab Januar endlich auf die Braunkohleverstromung im Keller zu verzichten und nur noch mit fair gewehtem Wind zu lüften.
Gleich zwei Banken sind der Meinung, dass ich eine pfiffige Anlegerpersönlichkeit bin. Sie wollen deshalb meinen Entschluss unterstützen, 2018 das Zinstief mit Mischfonds aufzumischen. Und mit Post vom 29. Dezember hat mich eine besorgte Assekuranz über ihre brandneue Vorsatzbruchversicherung informiert. Noch bis Silvester (23.59 Uhr) kann ich die zur Vorteilsprämie und ohne Gewissensprüfung abschließen.
Alles gut gemeint, aber vergebens. Denn wie vor einem Jahr halte ich mich an die Empfehlung der Westostwestfälischen Aktionsgemeinschaft gegen gute Vorsätze (WOWAGggV). Silvester 2016 habe ich mir für 2017 nichts vorgenommen – nix, nothing, niente! Das war der erste Neujahrsvorsatz meines Lebens, den ich zwölf Monate lang konsequent durchgehalten habe – wobei ich meinen eisernen Willen nicht unerwähnt lassen möchte.
Damit gehöre ich zu den gerade mal fünf Prozent Charakterfesten im Land, die es nach der gerade veröffentlichten Vorsatzforschungsstudie der Landvolkshochschule Brilon-Wald schaffen, Neujahrsabsichten mindestens bis Sommeranfang durchzuhalten.
Vermutlich haben mindestens 75 Prozent der für diese Studie Befragten frech gelogen. Der Rest hatte sich vermutlich vorgenommen, deutlich weniger zu arbeiten, Sportunfälle zu vermeiden, öfter mal wieder mit dem Auto Brötchen holen zu fahren, im Hallenbad ohne Helm zu schwimmen (verrückt!) oder nur noch an jedem zweiten Schultag die Hausaufgaben der Kinder zu erledigen.
Nicht dass hier der Eindruck entsteht, ich würde mich über gute Vorsätze lustig machen. Im Gegenteil: Das Versagen beim Vorsätze-Durchhalten ist sozialpsychologisch extrem wichtig. Es vermittelt auch chronisch erfolgreichen Menschen das gesellschaftlich inzwischen unentbehrliche Erlebnis des Scheiterns.
Nicht erst seit Platzen der Jamaika-Blase gilt Scheitern als entscheidender Baustein zum Erfolg. Wer nicht irgendwann irgendwas mit Schmackes vor die Wand gefahren hat, braucht gar nicht erst an Führungsaufgaben zu denken.
Wem beruflich oder privat partout nichts misslingen will, der kann im Vorstellungsgespräch wenigstens darauf verweisen, dass er schon am 12. Januar kläglich am Neujahrsvorsatz gescheitert ist, achtsamer zu atmen, nachhaltiger zu gehen oder wenigstens auf Extrasahne zum Windbeutel zu verzichten.
Zum Stichwort „Scheitern als Chance“ liefert Google übrigens 291.000 Einträge in 0,29 Sekunden. Prosit Neujahr!
© Satzverstand Dezember 2017