(12.01.17) Margot Käßmann hat den Jahreswechsel auf den Chatham-Inseln im Südpazifik verbracht. Direkt an der Datumsgrenze hat die Reformationsbotschafterin das Lutherjahr 2017 als Allerallererste begrüßt. Bereits auf dem Rückflug hat sie schon ein Buch dazu verfasst: „Datumsgrenzerfahrungen“.
Doch auch in ihrer gefühlt 199. Gedankensammlung verschweigt die Ex-Bischöfin bockig die Wahrheit: Der Rummel um den Reformator ist ein riesengroßer Schwindel. Geschichtsklitterung. Der wahre Reformator ist Johann Henricus Bukenberg aus Mönninghausen bei Bönninghausen.
Das zumindest schreibt der renommierte Historiker Prof. Erwin D. Drüggelte in seiner jetzt erschienenen Biografie „Bukenberg oder Die Lutherverschwörung“.* Danach hat der Mönch aus Mönninghausen am 3. Januar 1517 ingesamt 365 Thesen an das Portal der Stadtkirche zu Geseke geschlagen – also knapp elf Monate früher und überdies 270 Thesen mehr als Martin Luther.
Drüggelte hat in den einschlägigen Staats- und Kirchenarchiven zahlreiche bislang unbekannte Dokumente entdeckt. Sie belegen, dass Luther 95 der 365 Thesen Bukenbergs kopiert und unter eigenem Namen öffentlichkeitswirksam vermarktet hat. Der Rest ist Geschichte: Luther wurde Weltstar. Johann Henricus Bukenberg dagegen starb 1547 weitgehend unbekannt und verbittert in Bönninghausen bei Mönninghausen.
Prof. Erwin D. Drüggelte lehrt westostwestfälische Geschichte an der Universität Ermsinghausen-Schwarzenraben. Im Satzverstand-Interview erläutert der Bukenberg-Experte seine These:
Prof. Drüggelte, was veranlasst Sie, von einer „Lutherverschwörung“ zu sprechen?
Drüggelte: Der um 1686 in Mönninghausen geborene Einsiedlermönch Johann Henricus Bukenberg hat am 3. Januar 1517 in einer flammenden Rede auf dem Marktplatz der Ackerbürgerstadt Geseke 365 Thesen gegen das Ablassunwesen und für eine Kirchenreform verkündet. Also 270 Tage früher und überdies 270 Thesen mehr als Luther. Weil es aber bitterkalt war, hat schon nach der fünften These niemand mehr richtig zugehört. Bukenberg hat seine Forderungen deshalb in Form eines Ablasskalenders an die Pforte der Stadtkirche genagelt: Für jeden Tag des neuen Jahres eine These. So hat er ganz nebenbei den Abreißkalender erfunden.
Und Luther hat diese Thesen und damit gewissermaßen die Reformation gemopst?
Drüggelte: Ganz genau. Luther war vom 27. bis 29. September 1517 in der damals östlichsten Grenzstadt Kurkölns zu Gast. Vermutlich war er zum Namenstag einer Großtante mütterlichseits eingeladen. Damals war er ja noch gut katholisch. Er wird bei einem Verdauungsspaziergang an der Stadtkirche vorbeigekommen sein und wollte drinnen vielleicht ein kurzes Gebet sprechen. Und was sieht er da an der Kirchtüre? Den Ablasskalender!
Und den hat Luther dann einfach mitgehen lassen?
Drüggelte: So muss es gewesen sein. Der Kalender war natürlich schon arg ausgedünnt. Er hing ja bereits seit dem 3. Januar dort. Aber am 29. September waren immerhin noch 95 Thesen übrig. Luther wird die Brisanz sofort erkannt haben. Er hat die Restthesen eingesteckt und einen Monat später in Wittenberg unter seinem Namen an die Tür der Schlosskirche genagelt: Gelegenheit macht Reformation.
Eine steile These. Aber von einem Aufenthalt in Geseke ist in keiner Lutherbiografie die Rede.
Drüggelte: Das ist ja Teil der Lutherverschwörung. Systematisch haben die nationalpreussischen Historiker des 19. Jahrhunderts jeden Hinweis auf den Aufenthalt ihres Helden in Geseke aus den Annalen getilgt. Und damit auch die Erinnerung an das Werk von Johann Henricus Bukenberg.
Gibt es historische Belege für Luthers Besuch in Geseke?
Drüggelte: Tief im Archiv des Augustinerklosters Böddeken bei Büren bin ich auf die Abschrift eines Bewirtungsbelegs vom 29. September 1517 gestoßen. Er ist ausgestellt auf einen gewissen Bruder Martinus aus Wittenberge. Beigefügt befindet sich eine im Original erhaltene Reisekostenabrechnung für eine Kutschfahrt von Wittenberg über Nordhausen und Kassel nach Geseke und zurück. Wir wissen, dass sich Martin Luther zeitlebens über jeden Steuergroschen geärgert hat. Seine nicht unerheblichen Reit- und Kutschkosten hat er stets penibel von kirchlichen und weltlichen Abgaben abgesetzt. Aus den Belegen ist ersichtlich, dass sich Luther Ende September 1517 in Geseke aufgehalten haben muss.
Ein dünner Reisekostenbeleg wird wohl nicht ausreichen, um die Geschichte der Reformation umschreiben zu können, oder?
Drüggelte: Das Beste kommt ja erst noch: Im Geheimen Staatsarchiv Preussischer Kulturbesitz in Berlin bin ich mit viel Glück auf Fragmente der Originalthesen von Bukenberg gestoßen. Luther hat sie nach dem Übersetzen des Originaltextes aus dem Plattdeutschen nicht weggeworfen, sondern aufbewahrt – vermutlich aus schlechtem Gewissen. Oder aus Sparsamkeit, denn auf der Rückseite finden sich gelegentlich Notizen seiner Frau Katharina von Bora: „Milch ist alle“ zum Beispiel. Oder: „Es reicht jetzt mit diesem Apfelbäumchenpflanzen. Wir haben Apfelmus für die nächsten 250 Jahre“. Mit Teilen des Luthernachlasses sind die verbliebenen Bukenbergpapiere dann auf Umwegen in das Archiv nach Berlin gelangt. Dort wurden sie aber absichtlich oder aus Versehen falsch abgelegt: in den Schubern der Gebrüder Grimm. Da haben sie bis zu meiner Entdeckung im Sommer 2016 rund 150 Jahre unbeachtet geschlummert.
Wahnsinn. Fällt jetzt das Reformationsjubiläum aus?
Drüggelte: Das wäre folgerichtig, wird sich aber wohl angesichts des weltweiten Einflusses der Lutherverschwörer nicht durchsetzen lassen. Mir geht es jetzt vor allem darum, dem wahren Reformator Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Deshalb veranstaltet die Universität Ermsinghausen-Schwarzenraben zum 530. Todestag von Johann-Henricus-Bukenberg am 31. Oktober 2017 ein internationales Symposium zu Ehren des mutigen Mönches aus Mönninghausen. Dabei stellen wir das ebenfalls in Vergessenheit geratene Hauptwerk Bukenbergs vor: Die erste Übersetzung des Neuen Testamentes ins Plattdeutsche. Zudem freue ich mich auf ein Streitgespräch über die Lutherverschwörung zwischen dem aus Geseke stammenden Reinhard Kardinal Marx und Joachim Gauck. Der hat dann ja wieder Zeit.
*Erwin D. Drüggelte: Bukenberg oder Die Lutherverschwörung.
Mit einem Vorwort von Reinhard Kardinal Marx.
12.560 Seiten mit reichlich Fußnoten und 365 Thesen.
Universitätsverlag Ermsinghausen-Schwarzenraben,
1. Auflage, Januar 2017. ISBN: 9-783-4711-0815
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