Dank Herbert Grönemeyer wissen wir, wann ein Mann ein Mann ist. Dank Dr. Christian Blex wissen wir, wann ein Deutscher deutsch ist. „Der Bundespräsident stellt Deutsche mit jahrundertealten Wurzeln mit gestern Zugewanderten gleich“, ereifert sich der alternativdeutsche Abgeordnete im Landtag von Nordrhein-Westfalen.
Frank Walter Steinmeier hat in einem Interview mit der Rheinischen Post gesagt: „Wir sind ein Einwanderungsland. Die Zuwanderung, die wir brauchen, können wir nicht dem Zufall überlassen.“ Klingt ziemlich vernünftig. Der Bundespräsident hat nicht gesagt, dass jeder Nochnichtdeutsche beim ersten Berühren deutschen Bodens die Staatsbürgerschaft geschenkt bekommt.
Herr Dr. Blex hat das gewiss falsch verstanden. Denn es ist ja gar nicht so leicht, als Deutscher jahrhundertealte Wurzeln zu haben. Gerade in der Mitte Europas wurde ja oft und reichlich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Wurzeln zu kappen, ganz zu roden oder – um es für Herrn Dr. Blex verständlich auszudrücken – „umzuvolken“.
Aber ich habe Glück und das auch noch schriftlich – nämlich die Zusicherung meiner beiden Großväter, dass ich auf einen erstklassigen deutschen Stammbaum zurückblicken kann.
Beide waren gleichaltrig und wurden als 35-Jährige im Februar und März 1937 in Lippstadt zu ihnen nicht näher erläuterten Zwecken gemustert. Wie Millionen andere mussten sie bei dieser Gelegenheit die Erklärung unterschreiben, dass sie arischer Abstammung sind und „kein Eltern- oder Grosselternteil zu irgendeiner Zeit der jüdischen Religion angehört hat“ (Kopie des Originaldokuments).
Da in deutschen Behörden in der Regel nichts wegkommt, gibt es zur Umsetzung der Vorstellungen des Herrn Dr. Blex sicher noch ausreichend geeignete Formulare. Gut – das mit der jüdischen Religion müsste man natürlich überkleben und dann „islamische Religion“ etwas enger schreiben, es sind ja zwei Buchstaben mehr.
Da die Alternativdeutschen zwar dem Islam, nicht aber der Digitalisierung abgeneigt sind, ließe sich das natürlich schneller online erledigen. Die entsprechenden Webdomains sind bereits registriert.*
Wer sich spätestens an dieser Stelle fragt, warum ich mich in diesen Herrn Dr. Blex verbeiße, der möge sich dessen Facebook- und Twitterergüsse antun – und bitte auch die Kommentare seiner Fangemeinde. Herr Dr. Blex ist übrigens der, der sich im Frühjahr persönlich von einem Assad-Getreuen in Damaskus verlässlich versichern ließ, dass in Syrien auf Rückkehrer aus Deutschland blühende Landschaften warten.
Dass er beim offiziellen AfD-Pegida-Schulterschluss Ende August in Chemnitz in der ersten Reihe neben den Herren Höcke und Bachmann marschiert ist, versteht sich von rechts. Seinem Wahlvolk dürfte er allein deshalb die mehr als 11.000 Euro Abgeordnetentantiemen monatlich wert sein.
Es gibt auch einen persönlichen Grund, warum ich das Treiben des Herrn Dr. Blex aufmerksam verfolge: Er stammt aus meiner näheren Heimat, wurde 1975 in Lippstadt geboren und hat als Mathe- und Physiklehrer ein paar Jahre an „meinem“ Gymnasium Antonianum in Geseke unterrichtet. Der jetzige Schulleiter gehört zu meinem Abi-Jahrgang. Er ist sehr diskret, aber auch sehr froh, dass sich Herr Dr. Blex vor einiger Zeit ans Gymnasium im benachbarten Erwitte „verbessern“ konnte. Nach seiner Wahl in den Landtag 2017 wurde Herr Dr. Blex erst einmal vom Schuldienst beurlaubt. Auch das hat er mit Lehrer Höcke gemeinsam.
© Satzverstand, September 2018
Wer mehr über Herrn Blex erfahren möchte, dem sei der Beitrag „Unser Lehrer Dr. Blex“ von Christian Schwappe in der ZEIT empfohlen. Auch Schwappe hat in Geseke Abitur gemacht und jetzt dem Weg seines ehemaligen Lehrers in den Rechtspopulismus nachgespürt.
*Für den Beitrag „Mit dem rechten Riecher die besten Volksadressen sichern“ habe ich im Oktober 2017 bei Denic, der zentralen Registrierungsstelle und Betreiberin aller Domains mit de-Endung, nachgesehen, ob und welche Domainadressen aus dem Wortschatz des Dritten Reichs vergeben sind. Seit Ende März 2018 ist es leider nicht mehr möglich, die Domaininhaber einzusehen. Die EU-Datenschutzgrundverordnung schützt leider nicht nur die Verbraucher…