„Loriot 100 „- (M)ein Bekenntnis

Mein kleiner Loriot-Altar zum 100. des Meisters. Er lebe hoch!

Trotz einer enttäuschend dezenten Jubelberichterstattung in Presse, Funk und Fernsehen haben Sie es vielleicht doch mitbekommen: Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bülow – genannt Vicco, bürgerlich Herr Loriot – wäre am 12. November 100 Jahre alt geworden.

Weil es offensichtlich sonst niemand tut*, möchte ich den Meister an dieser Stelle loben, preisen und benedeien. Er lebe hoch! Hoch! Hoch!

Wie sonst nur noch der zu Unrecht in den Schatten der Humorgeschichte verschobene Ephraim Kishon hat mich Loriots Humor begeistert und geprägt – bis heute. Das liegt wohl auch einer beinahe persönlichen Beziehung zum Schaffen des Meisters

Vor allem in der späteren Schulzeit habe ich mit Leidenschaft Loriot-Sketche für eigene Aufführungen und Anlässe ausgebeutet, oft umgetextet und mit Freundinnen und Freunden bei Schulfesten, im Karneval oder Familienfeiern aufgeführt. Da gab es (fast) immer ein großes Hallo.

Für mein Idol habe ich sogar mein Leben riskiert: Eine „Herren-im-Bad“-Aufführung bei einer Karnevalsveranstaltung im Februar, im lediglich durch eine Taucherbrille ergänzten Originalkostüm und mit nur mäßig warmem Wannenwasser, bescherte mir eine nahezu tödliche Erkältung. Gottseidank haben Mütter, Freudinnen und Ehefrauen den gefährlichen Männerschnupfen damals noch ernstgenommen.

„Fast frei nach Loriot“ – Mit Leidenschaft habe ich früher Sketche des Meisters passend für Aufführungen in der Schule, im Verein oder für Familienfeiern umgetextet.

Die Kishon und Loriot abgeschaute Ironie hat mir trotz der vom pädagogischen Fachpersonal gnadenlos verfolgten Plusquamperfektschwäche zu manch guter Deutschnote verholfen. Leider gelingt es mir heute deutlich seltener, vom Hochseil des durchweg menschenfreundlichen Loriot-Humors nicht in den Zynismus abzustürzen.

Viele der von Vicco von Bülow aufs Korn genommenen Charaktere wurden bereits von der gesellschaftlichen Evolution überrollt oder sind akut vom Aussterben bedroht. Im öffentlichen Nahverkehr wird kaum noch Frack getragen, das Homeoffice verdrängt die Liebe im Büro, es gibt erfreulich mehr Generaldirektorinnen und bei Kündigungen wird hierarchieflach geduzt. Unser Land ist bunter geworden. Doch denkt man sich Frack und Knollennasen weg, sind die allermeisten Loriot-Karikaturen erstaunlich zeitlos.

Mit seinem feinen und hintergründigen Humor hätte Vicco von Bülow in der heutigen Comedylandschaft wohl kaum eine Chance. Das spricht sehr für ihn.

Umso erstaunlicher ist sein ungebrochener Kultstatus. Daran wagen selbst die leidenschaftlich Humorsezierenden (noch) nicht zu rütteln. Obwohl es sie natürlich in den Fingern juckt. In diesem Zusammenhang hätte Loriot sicher ein Zitat der Literaturwissenschaftlerin Claudia Hillebrandt in der ARD-Hommage für Loriot am 2. November großes Vergnügen bereitet:

„Es gibt die Meinung, dass Loriot eigentlich durch die… dadurch, dass er heteronormative Rollenzuschreibungen darstellt und dann auch komisiert, diese wiederum unterläuft.
Und es gibt die genau gegenteilige Position, die sagt, das wird doch eigentlich perpetuiert in der Darstellung, indem diese Stereotype eben aufgegriffen und eigentlich fortgeschrieben werden.“

Ach was!

Loriots ungebrochener Kultstatus hat nicht zuletzt mit dem immensen Geschäftssinn der Loriot-Erbinnen zu tun. Deren Kreativität in Sachen Neuauflagen und Merchandising in jeder erdenklichen Ausprägung ist schier unerschöpflich. Das ist nicht verwerflich. Ausgesprochen dämlich finde ich jedoch, dass die Erbinnen kleinkariert gegen jeden echten oder angeblichen Copyright-Verstoß vorgehen. Wenn Wikipedia nach einem Rechtsstreit mit Susanne von Bülow 30.000 Euro zahlen musste, weil die Online-Enzyklopädie 2012 die Loriot-Wohlfahrtsmarken der Deutschen Post abgebildet hatte, ist das absurd. Das hätte sicher auch Loriot so gesehen.


Auf der Suche nach einer passenden Loriot-Reliquie für mein Büro wurde ich 2019 endlich fündig. Auf Vermittlung des so sympathischen wie kreativen Berliner Galeristen Oliver Zimmer durfte ich im Juni 2019 bei Cordula Lebeck in Berlin persönlich den zertifizierten Abzug eines Loriot-Porträts von Robert Lebeck abholen. Freundlicherweise gewährte sie mir dann auch noch einen ehrfürchtigen Blick in das Archiv ihres 2014 verstorbenen Mannes.

Der begnadete Fotochronist Lebeck hatte Loriot 1988 bei den Dreharbeiten zu „Ödipussi“ in München begleitet. „Mein Bild“ zeigt den akribischen Regisseur beim perfekten Ausrichten einer Kaffeetasse. Der Henkel zwei Grad weiter halbrechts und der Film wäre gewiss ein Flopp geworden.

Jetzt blickt der Meister mir von der Wand links auf den Schreibtisch. Er nimmt es mir hoffentlich nicht übel, wenn ich es bei meinen Textarbeiten allzu oft an der ihm eigenen Akkuratesse fehlen lasse.


* „Täten, taten, tuten sagt man nicht.“ (Frau Steines, Klassenlehrerin 1a bis 4a, Dr. Adenauer-Grundschule Geseke am 24. April 1974, 2. März 1975, 5. Mai 1976, 12. Juni 1977) – Von schreiben hat sie nichts gesagt. 

Bitte beachten Sie freundlicherweise auch den investigativen Blogbeitrag „Sensation! Originaldrehort des „Herren-im-Bad“-Sketches von Loriot gefunden“.

© Satzverstand – 12. November 2023